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„Glückwunsch zur Ernennung zum Ersten Solisten“, so begrüßte Marjetta Schmitz-Esser den Tänzer Carsten Jung beim Künstlergespräch im Ballettzentrum am 13. Oktober 2004. Dort sind die Ballettfreunde besonders willkommen, für das Gespräch wurde der Petipa Saal sehr schön hergerichtet: Mit Vorhängen war der riesige Spiegel verhängt, ein Podium war aufgebaut, und Techniker hatten durch zwei Mikrofone dafür gesorgt, dass jeder die Unterhaltung gut verstehen und verfolgen konnte.
Marjetta Schmitz-Esser und weit über hundert Ballettfreunde erlebten einen bestens aufgelegten Carsten Jung, der bemerkenswerterweise der einzige Deutsche unter den Ersten Solisten ist.
Marjetta Schmitz-Esser: Motiviert diese Beförderung?
Carsten Jung: Nein, motiviert sein muss man vorher schon, sonst käme man erst gar nicht so weit.
MSE: Was macht einen guten Tänzer aus?
CJ: Talent ist wichtig, aber längst nicht alles. Der Wille ist entscheidend.
MSE: Bist Du mit Dir zufrieden?
CJ: Nein, nur selten. Es kommt vor, dass der Chef zufrieden ist und sich positiv äußert, aber man selbst ist gar nicht zufrieden. Oder es ist umgekehrt: Ich finde, ich war ganz gut, aber John hat Kritisches anzumerken. So ist das halt.
MSE: Wie sieht der Alltag, das tägliche Training aus?
CJ: Wir trainieren jeden Tag von 10 bis 11.30 Uhr, und im Grunde versucht jeder, sich täglich technisch weiterzuentwickeln. Von 11.45 bis 17.30 Uhr sind dann Proben. Wenn abends eine Vorstellung stattfindet, enden die Proben um 13.30 Uhr. Es ist ein anstrengender Beruf, ja. Aber viele Zuschauer, die nicht so oft ins Ballett gehen, denken immer noch, wir machen das als Hobby.
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MSE: So soll es ja auch aussehen! Du kommst aus dem Osten, bist in Gotha geboren. Mir scheint, es gibt eine größere Akzeptanz dort, männlichen Tänzern gegenüber...?
CJ: Vielleicht gab es das. Aber der Tänzerberuf wird gesellschaftlich weiterhin viel zu wenig geschätzt, wird unterbewertet. Man verdient wenig, die Ausbildung ist lang, die Karriere kurz. Heute wollen die Jungs eher kleine Michael Schumachers werden oder zumindest einen Beruf erlernen, der Geld bringt.
MSE: Wie bist Du zum Tanz gekommen?
CJ: Das ist eine merkwürdige Geschichte. In unserer Schülerzeitung gab es Gutscheine für unterschiedliche Schulen. Auch für die Palucca Schule in Dresden war ein Coupon dabei. Den hat meine Schwester ausgefüllt aber mit meinem Namen! Und dann wurde ich zum Eignungstest eingeladen, im Alter von neun Jahren, und tatsächlich auch aufgenommen.
MSE: Und wie war das für Dich?
CJ: Ich fand es toll. Mit zehn Jahren war ich dann von zu Hause weg, im Internat, lauter Jungs unter sich das hat mir gut gefallen.
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MSE: Wie kam es dann zum Wechsel nach Hamburg?
CJ: Das war im Januar 1992, da bin ich einfach mal abends in den Zug nach Hamburg gestiegen, nachts bei viel Bier im Gröninger Keller hängen geblieben, und am anderen Tag habe ich bei John Neumeier vorgetanzt. Nach der Audition wurde ich gefragt, ob ich auch sofort wechseln könne, also schon im März. Ich habe zugesagt, obwohl niemand in der Schule und noch nicht einmal meine Mutter wusste, dass ich in Hamburg war. Aber ich habe es nicht bereut, obwohl ich ja ein halbes Jahr nachzuholen hatte, also einen Leistungsrückstand zunächst ausgleichen musste.
MSE: Welche Unterschiede gibt es im Vergleich Ost und West - in Bezug auf das Training und den Tänzerstatus?
CJ: Das Klassische Training ist im Prinzip gleich, da ergeben sich Unterschiede nur durch die Pädagogen und die jeweilige Schule, aus der sie kommen. Für ausgebildete Tänzer war es zu DDR-Zeiten allerdings leichter: Es gab eine Veranstaltung, ein groß angelegtes Training, das sich Theaterleute anschauten, die sich die Tänzer dann aussuchten für ihre jeweilige Compagnie. Insofern waren Tänzer abgesichert, mussten sich selbst kaum kümmern.
MSE: 1994 wurdest Du ins Ensemble übernommen...
CJ: Da hatte ich dann neun Jahre Ausbildung hinter mir, eigentlich war es eine langsame Entwicklung bei mir. Aber 1994 kamen fünf Jungs und zwei Mädchen in die Compagnie, das war schon ein guter Jahrgang damals.
MSE: Was trainieren männliche Tänzer im Besonderen?
CJ: Wir müssen Kraft und Ausdauer trainieren, aber auch Sprünge. Man wird ja kräftiger und größer, und so muss man darauf achten, dass alles noch ästhetisch aussieht. Es gibt Fotos von mir, da war ich ein richtiger Schmalhans, nun werde ich breiter. Ich gehe nicht ins Fitness-Studio, sondern ich mache vor bestimmten Vorstellungen Liegestütze, und ich bekomme nun auch häufiger große Frauen als Partnerin.
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MSE: Peer Gynt diese Figur von Ivan Liska zu übernehmen, eine Rolle, die schon existiert, das war sicher nicht leicht?
CJ: Ich habe die Schritte gelernt, jeden Tag probiert, und indem man das tut, entwickelt sich die Rolle. Ivan war an die vierzig Jahre alt, als er die Rolle bekam, ich war Mitte zwanzig, schon von daher ging jeder von uns anders heran.
MSE: Und Du hast ja auch eine ganz andere Farbe hinein gebracht, das hat mir gut gefallen, man denkt nicht an Ivan Liska.
Du hast beim Film von Donya Feuer mitgewirkt, „The Working of Utopia“, was war das für eine Erfahrung?
CJ: Ich habe da mit einer Frau getanzt, die ihre Karriere eigentlich schon hinter sich hatte, nur um zu zeigen, wie schwierig das im Pas de deux sein kann aber die haben mich da hingestellt, als ob ich nicht partnern kann! Ist ja auch schwierig. Aber die filmen dann wirklich alles, auch wenn ich mal ich bin...
MSE: Und bei den Aufnahmen zu DVD „Illusionen wie Schwanensee“ hast Du auch mitgearbeitet, worauf muss man beim Film achten im Unterschied zur Bühne?
CJ: Man ist noch nervöser! Auf der Bühne, da sind maximal 1600 Zuschauer, aber die gucken ja nicht alle zu mir. Für die DVD haben acht Kameras alles für die Ewigkeit aufgenommen. Wenn man denkt, sie filmen nun den Pas de deux da vorne, und ich stehe im Hintergrund, wird plötzlich heran gezoomt. Und es gab nur wenige Wiederholungs-Möglichkeiten.
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MSE: Du hast auch in Australien getanzt, bei François Klaus...
CJ: Ja, beim Queensland Ballet in Brisbane haben wir ein Mahler-Pas de deux getanzt, Elizabeth und ich. François Klaus versucht, eine Gal dort zu etablieren, er schult die Tänzer gut, aber die Talentierten gehen schnell weg aus Australien.
MSE: Ist es schwieriger, vor einem fremden Publikum zu tanzen?
CJ: Nein, man gibt ja immer das Beste. In Tokyo war alles sehr fremd; in Shanghai essen die Leute Popcorn und trinken Cola in der Vorstellung da kommen Geräusche aus dem Publikum, die ich nicht wiederholen will! Die „Winterreise“ in Japan da ist ja ein Japaner, der durch das ganze Ballett tanzt, da spielen wir eher Nebenrollen.
MSE: Worin liegt aus Deiner Sicht die besondere Qualität in der Arbeit mit John Neumeier?
CJ: In dem, was er jedem Einzelnen gibt. Wenn er die Person aussucht, weiß er schon, was sie noch mitbringen kann.
MSE: Lässt er Raum für eigene Ideen?
CJ: Ja, und dann schiebt er entweder einen Riegel vor oder er akzeptiert.
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MSE: Wie bereitest Du Dich auf eine Rolle vor?
CJ: Ich setze mich mit der Figur auseinander. Aber die Musik hilft auch immer, genau auf die Phrasierungen zu achten, Musikalität ist sehr wichtig. Auf Peer Gynt habe ich mich selber vorbereitet, dann Anregungen vom Ballettmeister bekommen. Und wenn John dann die erste Probe sieht, gibt er Hinweise, was er in der Rolle sieht.
MSE: Gibt es bestimmte Vorlieben in Bezug auf Tanzpartnerinnen?
CJ: Nein, wir sind alle Profis und alt genug. Das mag es woanders geben: „Mit der nicht!“ Aber hier gibt es das nicht. Frau sieht nur so gut aus, wie Mann partnern kann!
MSE: Wie war die Zusammenarbeit mit Christopher Wheeldon?
CJ: Der Umgang miteinander war anders, lockerer, was aber nicht heißt, dass nicht jeder immer das Beste gab erst recht für den jungen Choreografen. Er hatte auf der einen Seite ein Konzept, aber er schaute sehr genau und änderte auch jeden Tag auf der Probe etwas.
MSE: Du hast so viele Rollen getanzt, kommt da irgendwann Routine auf?
CJ: Routine nein! Es ist auf deutsch gesagt knallhart. Es gibt kein Zurück, wir wollen es immer wieder beweisen. Besonders während der Ballett-Tage ist es nicht einfach, von der Matthäus-Passion zu Dornröschen zu wechseln. Aber da muss man einfach durch. Andere Rollen, die ich schon im Oktober gelernt habe, muss ich dann erst wieder im Juli tanzen, die müssen dann einfach abzurufen sein.
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MSE: Gibt es eine Wunschrolle?
CJ: Ein Armand ist immer nett. Aber ein Gaston passt auch gut zu mir.
MSE: Und der Lancelot?
CJ: War sehr schwer, mit zwei Frauen, das war bis zum Verrückt-Werden.
MSE: Und ein Wunschchoreograf?
CJ: Christopher Wheeldon liegt mir, er wird wieder nach Hamburg kommen, und da würde ich sehr gerne wieder mitmachen.
MSE: Was machst Du in Deiner wenigen Freizeit?
CJ: Ich gehe gern mal eine Runde Billard spielen.
MSE: Kannst Du Dir ein Leben ohne Tanz vorstellen?
CJ: Man muss sich immer ein Leben ohne Tanz vorstellen können. Ich werde wohl noch fünf oder sechs Jahre tanzen, wenn mein Körper durchhält. Spätestens wenn man krank ist, beginnt man darüber nachzudenken.
MSE: Könntest Du Dir denn vorstellen, als Ballettmeister zu arbeiten oder zu coachen?
CJ: Ja, coachen könnte ich mir gut vorstellen, nicht so gut allerdings, das Training zu geben.
MSE: Hast Du einen Wunsch für die Zukunft?
CJ: Ich möchte, dass meine Lebensgefährtin Elizabeth Loscavio ein gesundes Kind zur Welt bringt!
(Angelina kam inzwischen gesund zur Welt)
Das Interview wurde dokumentiert von Dagmar Fischer
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Letzte Aktualisierung: 25.09.05, [ddd]
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