Rückschau: Zum Tod von Colleen Scott, Carla Fracci, Ismael Ivo und Anna Halprin

Colleen Scott wurde 1945 im südafrikanischen Durban geboren und begann dort ihre Tanzausbildung. Nach einem Engagement in Johannesburg absolvierte sie weitere Studienjahre an der Londoner Royal Ballet School. Ab 1967 tanzte sie im Ballett der Deutschen Oper am Rhein unter Erich Walter. Hier lernte sie ihren zukünftigen Ehemann Ivan Liška kennen. 1974 wechselte sie zum Bayerischen Staatsballett nach München, seit 1977 gehörte sie zum Hamburg Ballett. John Neumeier kreierte für sie u. a. Dulcinea in „Don Quixote“, Ginevra in der „Artus-Sage“ und Celia in „Wie es euch gefällt“. Sie interpretierte klassische Hauptrollen in „Schwanensee“ und „Dornröschen“, überzeugte aber auch als ausdrucksstarke Tänzerin in Werken von John Cranko („Onegin“, „Der Widerspenstigen Zähmung“) und Neumeier („Die Kameliendame“, „Ein Sommernachtstraum“, „Endstation Sehnsucht“). Als Ivan Liška 1996 die Direktion des Bayerischen Staatsballetts übernahm, arbeitete sie dort für weitere zwanzig Jahre als Ballettmeisterin und Coach. In den vergangenen Jahren gab sie ihre Erfahrung an das Bayerische Junior Ballett in München weiter, u. a. auch bei der Einstudierung von Gerhard Bohners „Triadischem Ballett“, in dem sie 1977 mitgewirkt hatte. Colleen Scott verstarb am 9. Mai 2021 unerwartet nach einem Unfall.


Carla Fracci war eine Primaballerina Assoluta, die größte Ballerina ihrer Zeit, wie die New York Times sie nannte. 1936 kam sie in Mailand zur Welt, sie wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Ihre Ausbildung begann an der Ballettschule der Mailänder Scala, und dort wurde sie später im Alter von nur 22 Jahren zur Primaballerina ernannt. „Giselle“ war die Rolle ihres Lebens, zu ihren Bühnenpartnern gehörten u. a. Rudolf Nurejew und Erik Bruhn, doch trat sie auch in Fernsehshows und als Schauspielerin auf. Sie heiratete den Regisseur Beppe Menegatti und kehrte nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes auf die Bühne zurück. Als Direktorin des Balletts Neapel und als Ballettchefin in Verona setzte sie nach der aktiven Laufbahn ihre Karriere fort. Im Alter von 84 Jahren verstarb Carla Fracci am 27. Mai 2021 in Mailand.


Ismael Ivo verstarb am 8. April 2021 in seiner Heimatstadt São Paulo. Dort kam er 1955 zur Welt und konnte dank verschiedener Stipendien seine Ausbildung an mehreren Ballettschulen absolvieren. Zunächst schloss er sich dem experimentellen Tanzensemble des Theatro Municipal in Sao Paulo an, ab 1983 tanzte er im Alvin Ailey American Dance Theater in New York. Zwei Jahre später ließ er sich in Europa nieder, wo er u. a. mit Johann Kresnik, George Tabori, Heiner Müller, Marcia Haydée und Yoshi Oida arbeitete. In den 1980er Jahren gehörte er zu den Gründern des Wiener Tanzfestivals „ImPulsTanz“. Ab 1987 war das Theaterhaus Stuttgart für zwanzig Jahre seine künstlerische Heimat. Nach Leitungspositionen am Deutschen Nationaltheater Weimar und für die Sektion Tanz der Biennale Venedig kehrte er 2017 nach Brasilien zurück. Nach zwei Schlaganfällen erlag Ismael Ivo einer Covid-19-Infektion.


Anna Halprin war eine US-amerikanische Tänzerin, Choreografin und Pädagogin, die ebenfalls Wegbereiterin der Tanztherapie wurde. 1920 geboren, entwickelte sie im gesellschaftlichen Aufbruch der 1960er und 70er Jahre in Kalifornien Rituale für tanzende Gruppen, in denen persönliche Selbstheilungskräfte mobilisiert werden sollten. Als eine der Ersten propagierte sie Tanz unter freiem Himmel, und in ihrem „Dancer’s Workshop“ legte sie den Grundstein für die Tänzer-Generation, die später als „Judson Dance Theater“ von sich reden machte. 2017 nahm sie noch an der „dokumenta“ teil. Anna Halprin verstarb am 24. Mai im Alter von 100 Jahren.