Hamburg ohne John Neumeier? Kaum vorstellbar. Und doch wird der international renommierte
Choreograf und Intendant des Hamburg Ballett im Sommer 2024 seine Position aufgeben. Es ist
ein langer Abschied mit lauter letzten Malen.
Als letzte Wiederaufnahme dieser Saison stand die „Odyssee“ nach 19 Jahren Pause am 24.
Februar 2024 wieder auf dem Programm. Das Werk wurde wohlüberlegt in der 51. Spielzeit erneut
platziert: „Die ‚Odyssee‘ gehört zu meinen anti-aggressiven Antikriegsstücken. Es ist ein
aufrichtiges Plädoyer für den Frieden,“ so Neumeier, das er zu diesem Anlass überarbeitete:
Gekürzt, aber dafür in zwei Stunden ohne Pause erlebt das Publikum die zehnjährige Irrfahrt des
Odysseus, der – vom Trojanischen Krieg gezeichnet – weitere Abenteuer bestehen muss, bevor
er in seine Heimat zurückkehrt. Alexandr Trusch durchlebt die kräftezehrende Reise und strahlt
als ebenso vitaler wie verletzlicher Held der griechischen Mythologie.
Die Wiederaufnahme-Premiere am Abend des 24. Februar 2024 fiel mit John Neumeiers 85.
Geburtstag zusammen. Einen Tag danach waren Interessierte (quasi nachträglich zum
Geburtstag) eingeladen, kostenlos in der Oper den Film „John Neumeier – ein Leben für den
Tanz“ auf der bühnenhohen Leinwand zu sehen; dieses Geschenk des Choreografen an sein
Publikum wurde begeistert aufgenommen. Die letzte Film-Preview in der Staatsoper musste
der Ballettchef selbst einleiten: „Es ist seltsam, einen Film über sich selber vorzustellen“, begann
John Neumeier an jenem Sonntagvormittag. Doch da der Regisseur kurzfristig krank geworden
war, übernahm er die Begrüßung. Ein Jahr lang hat der dänische Filmemacher Andreas Morell den
Choreografen begleitet, nach Paris, Japan und in die USA. Als sich John Neumeier in einem Archiv
vorstellt, spricht er seinen Nachnamen „Newmeier“ aus. Berührend ist das Wiedersehen mit einem
älteren Herrn, der heute das Studio leitet, in dem Neumeier seinen ersten Tanzunterricht bei Sybil
Shearer erhielt – es existiert noch. Auch das Haus, in dem er vom dritten bis zum 18. Lebensjahr
wohnte, durfte er noch einmal besuchen – der emotionalste Moment des Dokumentarfilms.
Die letzte Ballett-Werkstatt wurde verschoben: Ursprünglich für den 5. Mai geplant, wird sie
auf den 16. Juni verlegt. Die Terminänderung seiner letzten und 241. Ballett-Werkstatt erläutert
John Neumeier mit den Worten: „Der Moment, als ich in Hamburg heimisch wurde, war mitten in
meiner ersten Ballett-Werkstatt: als ich offen zugab, meinen Text vergessen zu haben – und das
Publikum mit spontanem Applaus reagierte. Dieser Kontakt, dieser Austausch ist für mich bis
heute wichtig. Um den inhaltlichen Bogen bis ans Ende meiner Hamburger Intendanz zu spannen,
habe ich mich entschlossen, die allerletzte Ballett-Werkstatt so nah wie möglich an den Beginn
der 49. Hamburger Ballett-Tage heranzurücken.“ Für Karteninhaber: Alle bisher gekauften Karten
behalten für den Ersatztermin ihre Gültigkeit. Darüber hinaus bietet die Hamburgische Staatsoper
allen Karteninhabern die Möglichkeit an, ihre Karten bis zum 30. März 2024 zurückzugeben, falls
sie zum neuen Termin verhindert sein sollten.
Dagmar Ellen Fischer