Interview mit Edvin Revazov am 29. Februar 2024

Edvin Revazov (mit Betonung auf dem „a“, wie er uns erklärte) besuchte uns am 29. Februar im
Hotel Baseler Hof. Er erzählte sowohl von seiner mittlerweile über 20-jährigen Tänzerkarriere als
auch von seiner Arbeit als Choreograf und Leiter des vor einem Jahr gegründeten Hamburger
Kammerballetts.
Zu Beginn zeigte Dagmar Ellen Fischer einen kurzen Video-Ausschnitt mit Proben zum Ballett „Tod
in Venedig“, einem Ballett, in dem Edvin jahrelang erfolgreich den Tadzio tanzte, eine Rolle, die
John Neumeier für ihn geschaffen hat. Er hat mittlerweile in dem Ballett fast alle Rollen durch, er
war neben Tadzio auch Jaschu, Friedrich der Große und Aschenbach. Die Kreation dieser Rolle war
für ihn eine große Chance, war er doch 2001 gerade erst in die Compagnie aufgenommen worden.
1983 in Sevastopol als jüngster von 5 Brüdern, der größten Stadt auf der Krim, geboren, wuchs
in einer Famlie auf, die viel mit Tanz und Akrobatik zu tun hat, vier Revazov-Brüder tanzen.

Über einen seiner älteren Brüder kam auch Edvin zum Tanz, zum Ballett. So ging er mit zwei
weiteren Brüdern, Yan und Dan, nach Moskau, um sich als Balletttänzer ausbilden zu lassen. Die
Teilnahme am Prix de Lausanne war schicksalhaft, denn dort traf er John Neumeier. Edvin kannte
einen Ausschnitt aus der „Kameliendame“, weil Manuel Legris in Moskau zuvor den Preis „Benois
de la Danse“ gewonnen hatte und bei der Abschlussgala diesen Pas de deux getanzt hat. Eine
Choreografie, die ihn tief berührt hat. So kam Edvin nach Hamburg und wurde 2001 in die
Compagnie übernommen.
Nach dem Tadzio kam schnell eine weitere bedeutende Kreation: „Parzifal – Episoden und Echo“,
Edvin kreierte die Titelfigur. Dann, als Solist und später als Erster Solist, hat er die großen Rollen
aus dem Neumeier-Repertoire (Armand, Günther, Schwanensee-König, Oberon etc.) in Hamburg
und auf Gastspielen getanzt. Interessant findet er, unterschiedliche Rollen auch mit verschiedenen
Partnerinnen zu tanzen, weil trotz der gleichen Schritte andere Akzente gesetzt werden und das
Ergebnis immer anders ist.

Dagmar Ellen Fischer zeigte einen weiteren Video-Probenausschnitt, diesmal aus einer
Kreationsprobe des Balletts „Tatjana“, Neumeiers „Onegin“-Deutung. Über seine Annäherung an
Neumeiers Onegin sagt Edvin, dass im Gegensatz zu Crankos „Onegin“, der eher negativ besetzt
ist, Neumeiers Onegin eher kompliziert und depressiv angelegt ist, ein Mensch ohne glückliche
Emotionen. Dass Neumeier diese Figur nicht einseitig gedeutet hat, sondern ihm verschiedene
Farben gibt, machte für Edvin diese Rolle sehr interessant. Eine weitere bedeutende Kreation war
Wronski in „Anna Karenina“, ein Ballett, das er für das Bolschoi-Theater in Moskau einstudiert hat.
Das Choreografieren hat Edvin Revazov bereits als Schüler der Hamburger Ballettschule für sich
entdeckt, im Rahmen der heutigen „Werkstatt der Kreativität“. Ein eigenes Werk mussten die
Schüler damals schon choreografieren, die öffentliche Vorführung im Ernst-Deutsch-Theater, die
wir heute kennen, gab es damals noch nicht. Verschiedene Arbeiten bei den „Jungen
Choreografen“ brachten ihm genügend Erfahrung, um 2019 mit seinen Kollegen Marc Jubete und
Aleix Martínez einen eigenen Ballettabend auf der großen Bühne zu choreografieren.
„Man kann nicht mit der Musik kämpfen“, sagte Edvin über seine Kreation „Fräulein Julie“, das er
für seine Frau Anna Laudere geschaffen hat. Eine sehr komplizierte, nervenaufreibende Arbeit,
weil Musik und Tanz einfach nicht zueinander passen wollten, die Musik sagte einfach etwas ganz
anderes. Probiert, geändert, neu choreografiert – trotzdem wollte die Musik nicht passen, bis er
kurz vor Schluss eine andere Musik gefunden hat.
Das Hamburger Kammerballett ist Edvins jüngstes Baby. 2022 gegründet mit sieben ukrainischen
TänzerInnen, ohne feste Bühne, aber auch probenmäßig beheimatet im Hamburger
Ballettzentrum. Edvins Intention war, seinen ukrainischen KollegInnen die Möglichkeit zu geben,
wieder auf einer Bühne zu stehen. Die Arbeit mit dem Kammerballett ist eine zusätzliche Aufgabe,
denn Edvins Tätigkeit als Erster Solist des Hamburg Ballett geht natürlich in gleichem Umfang
weiter. Dennoch: Er choreografiert und organisiert unermüdlich abends, nach Feierabend, mit
seiner kleinen Compagnie. Ganz allein ist er dabei nicht, er bekommt Unterstützung von Tänzern
und Tanzpädagogen des Hamburg Ballett. Ein neues Programm wird das Kammerballett im Mai
im First Stage Theater vorstellen. Auf dem Programm steht u. a. auch ein Werk von John
Neumeier, „Der Fall Hamlet“.
Timm Berkefeld