Der aus Italien stammende Tänzer Francesco Cortese gehört seit 2021 zum Ensemble des Hamburg Ballett, ist also in seinem dritten Jahr als Gruppentänzer engagiert. Für diesen überschaubaren Zeitraum hat er eine beachtliche Zahl an tänzerischen Aufgaben übernommen, dazu gehören Louis in „Liliom“, Amors Segen und eine Dornengestalt in der Neufassung von „Dornröschen“, Benvolio in „Romeo und Julia“, Fritz in „Der Nussknacker“, ein Verehrer Manon Lescauts in „Die Kameliendame“, ein Freier und eine der beiden Kriegsgestalten in „Odyssee“ sowie John Reed in „Jane Eyre“ von Cathy Marston. Während des Interviews zeigte Timm Berkefeld einige Fotos dieser Rollen während des Schlussapplauses. Als 13-Jähriger kam Francesco aus seinem italienischen Heimatort Schio nach Hamburg, um an John Neumeiers Ballettschule seine Ausbildung zu absolvieren. Jetzt ist er 22 Jahre – und spricht fließend Deutsch (und Englisch). Die Pädagogen an der Ballettschule legen großen Wert darauf, dass die Studierenden auch im Training Deutsch sprechen, erzählt Francesco; auch an der allgemeinbildenden Schule gibt es entsprechende Fächer. Er habe darüber hinaus gezielt deutsche Filme geschaut und deutsche Bücher gelesen, weil er die Sprache des Landes, in dem er lebt, unbedingt gut sprechen wollte. Familiär vorbelastet ist er insofern, als dass sein Großvater in Italien gern auf Festen tanzte, seine Mutter und zwei Geschwister Instrumente spielen. Als Corona die Welt 2020 stilllegte, war er in der Theaterklasse. „Erst haben wir tagelang nicht gewusst, wie es weitergeht, dann haben wir unser Training fortgesetzt: Jeder zuhause, in kleinen Zimmern, mit einem Stuhl als Stange.“ Nach der Ausbildung wurde er als Aspirant ins Hamburg Ballett übernommen – und gleich mit einer besonderen Rolle besetzt: Louis, Lilioms Sohn. Vor dieser Aufgabe habe er sich bewusst keine Filme angeschaut, um nicht gleich eine (andere) Interpretation des Stoffes zu sehen: „Ich muss das wirklich verstehen. Im Louis ist viel Francesco!“
Soll er beispielsweise Glück auf der Bühne zeigen, so denkt er an Menschen, die ihn glücklich machen, auf diese Weise „kommt ein naturelles Lächeln ins Gesicht“, sagt er. Bislang ist Louis seine Lieblingsrolle, denn dieser Junge erlebt eine Gefühlsreise. Aber auch die eine Hälfte der beiden Kriegsgestalten in „Odyssee“ begeistern ihn. Er tanzt diesen Part mit Alessandro Frola, und der hat ein gut sichtbares Tattoo auf der linken Seite seines Oberkörpers. Damit die beiden sich möglichst ähneln, lässt sich Francesco das gleiche Motiv vor jeder Vorstellung aufmalen! In „Romeo und Julia“ hat er früher das Kind der Schauspieltruppe verkörpert, inzwischen ist er zu Benvolio aufgestiegen. In dieser Spielzeit übernahm er erstmalig die Rolle von Fritz im „Nussknacker“. Dazu gehört auch ein Sprung in die Arme zweier Kollegen, die ihn passgenau auffangen müssen. Ja, etwas Mut braucht es schon, bestätigt Francesco, aber im Training beginnt man ja, diesen Sprung aus geringer Entfernung zu proben, und dann nimmt man einen immer größer werdenden Anlauf.