Am 2. und 3. März 2024 sind drei Aufführungen von John Neumeiers Ballett „Anna Karenina“ in
Moskau zu sehen. Der Intendant und Chefchoreograf des Hamburg Ballett erläutert seine
Beweggründe, speziell dieses Werk für Aufführungen in Russland freizugeben: „Ich habe mich
entschlossen, dem Bolschoi-Theater die Aufführung meines Balletts ‚Anna Karenina‘ zu gestatten
– trotz der fundamentalen Distanz, die ich zum russischen Staat aufgrund seines zutiefst
inhumanen Angriffskriegs gegen die Ukraine empfinde. ‚Anna Karenina‘ vermittelt genau die
humanen Werte, die das jetzige russische Regime so sträflich missachtet. Das beginnt mit der
äußeren Organisationsform als deutsch-kanadisch-russische Koproduktion und endet noch lange
nicht beim geistigen Schöpfer, einem homosexuellen US-Amerikaner. Nicht zuletzt betrifft es auch
die inhaltliche Substanz von ‚Anna Karenina‘: Man denke nur an eine Figur wie den Freigeist
Lewin, den ich als Sympathieträger zur Musik von Cat Stevens auftreten lasse. Aus allen diesen
Gründen sehe ich es positiv, wenn Aufführungen gerade dieses Werkes – und ausschließlich dieses
Werkes – in Moskau stattfinden. Die Tantiemen aus den geplanten ‚Anna Karenina‘ -Aufführungen
am Bolschoi-Theater werde ich für einen gemeinnützigen Zweck spenden. Seit dem Kriegsbeginn
am 24. Februar 2022 ist es für mich selbstverständlich, meine Position und meine vielfältigen
Kontakte für die Unterstützung ukrainischer Künstler einzusetzen. Ich habe mein Ballett ‚Spring
and Fall‘ kostenfrei für Aufführungen und die Verfilmung durch das Kyiv National Ballet zur
Verfügung gestellt, die Einstudierung in Kiew durch meine Ballettmeister ermöglicht und die
Tänzerinnen und Tänzer zu unserer traditionsreichen Nijinsky-Gala nach Hamburg eingeladen.
Neben der spontanen Aufnahme von ukrainischen Nachwuchstalenten an unserer Ballettschule
hat sich aus der Gastfreundschaft für ukrainische Profi-Tänzer ein festes Ensemble unter Leitung
meines Ersten Solisten Edvin Revazov entwickelt: das Hamburger Kammerballett, in dem
geflüchtete ukrainische Tänzerinnen und Tänzer eine neue künstlerische Heimat finden. Die
Compagnie ist inzwischen etabliert und feiert in Kürze ihr einjähriges Bestehen. Neben
künstlerischer Exzellenz und sozialem Engagement etwa mit Education-Projekten konnte sich das
Hamburger Kammerballett durch meine Vermittlung im November markant in die Hamburger
Stadtgesellschaft einbringen, als die großen Kulturinstitutionen unter dem Motto ‚Schweigen
durchbrechen‘ spontan einen Solidaritätsabend für die Opfer des Gaza-Kriegs auf die Beine
stellten.“