Ballett-Werkstatt am 10. März 24

Die 240. (!) und vorletzte von John Neumeier präsentierte Ballett-Werkstatt thematisierte die
Wiederaufnahme der „Odyssee“. Als er den Auftrag erhielt, hatte der Choreograf gleich ein Bild
vor Augen: Ein Mann kämpft mit dem Meer. In der dann folgenden Szene wird Alexandr Trusch
als Odysseus von einer das Meer symbolisch darstellenden Tänzerin umarmt, zu Boden gezogen
und weitergeschleppt. In Neumeiers Bibliothek stand natürlich Homers Epos, doch um die
Geschichte in Tanz zu verwandeln, wollte er „die Story nicht im Hinterkopf oder im Hinterherzen
haben, sondern frisch lesen,“ so Neumeier, um Bilder entstehen zu lassen. Da passte es, dass ihm
für die Wiederaufnahme die neue (und hochgelobte) Übersetzung ins Englische von Emily Wilson
zur Verfügung stand. Dort las er, dass Odysseus ursprünglich gar nicht in den Krieg ziehen wollte,
als Agamemnon ihn bat, seine Frau Helena mit Gewalt aus Troja zurückzuholen. Odysseus täuscht
Verrücktheit vor, indem er Salz auf seinen Feldern aussät. Doch mit einem Trick entlarven ihn die
Kriegswilligen als nicht verrückt: Er wird Soldat für zehn Jahre. Weitere zehn Jahre braucht er für
die Heimreise, „eine Reise zurück zu einem kompletten Menschen“, wie Neumeier es nennt, denn
„im Krieg verlieren Männer ihre weiblichen Anteile.“
In Homers Odyssee wechseln die Spielorte. Um die dafür notwendige Offenheit zu erreichen,
orientiert sich das Bühnenbild an einer Kombination aus jenem Raum, wie ihn das japanische Nô-
Theater nutzt, und dem antiken griechischen Theater. So eignet er sich sowohl für das Fest der
Phäaken, bei denen Odysseus auf seiner Irrfahrt Halt macht, als auch für das Haus auf Ithaka, in
dem Penelope von Freiern belagert wird, während sie auf die Rückkehr ihres Mannes wartet. Diese
respektlosen Bewerber hält Penelope hin: Das berühmte Tuch, das sie tagsüber webt und nachts
wieder löst, erscheint als riesiges Requisit, von Tänzerinnen in großer Eile getragen.
Odysseus hätte bei dem gastfreundlichen und reichen Volk der Phäaken bleiben und Nausikaa,
die Tochter des Königs, heiraten und in Frieden leben können. Doch dann hätte er nie die Heilung
erfahren, die er nach den grauenvollen Erfahrungen des Kriegs brauchte. Die Götter greifen ins
Schicksal der Menschen ein, die Beziehungen zwischen irdischer und göttlicher Welt wird auf der
Bühne durch zwei Ebenen abgebildet. Die Göttin Athene beschützt den griechischen Helden, bis
er in seiner Heimat wieder zur Ruhe finden kann.
Dagmar Ellen Fischer