Eine Gruppenreise nach Kopenhagen? Eine Viertagestour per Bus? Nicht mit mir, dachte ich. Wozu ein Reiseunternehmen bemühen und mich einer Gruppe anschließen, wenn ich doch alles auch allein organisieren kann.
Meine Schwester Tina Ammer war es, die mir von jener Adventsreise nach Kopenhagen erzählte. Seit vielen Jahren ist sie Mitglied der Ballettfreunde Hamburg und schon häufig mit ihnen auf Reisen gegangen. Mal nach Venedig oder Ljubljana, dann nach St. Petersburg oder Antwerpen. Jedes Mal kehrte sie begeistert heim. Nun also sollte es nach Kopenhagen gehen. Ob ich nicht Lust hätte mitzukommen, fragte sie. Die Absage lag mir schon auf den Lippen, denn – wie erwähnt – liegen mir Gruppenreisen nicht so recht, weshalb ich nur der Form halber einen Blick auf das Programm warf. Doch nach wenigen Zeilen entdeckte ich die Ankündigung zweier Veranstaltungen: „Billy Elliot“ und „Der Nussknacker“. Das klang interessant und machte mich neugierig. Also sagte ich spontan zu.
Am Freitag, dem 29. November 2024, morgens um acht, ging es los. Ein großer geräumiger Bus holte uns am Hamburger Hauptbahnhof ab, und schon ging es über die Vogelfluglinie nach Fehmarn, mit der Fähre von Puttgarden nach Rødby und von dort weiter nach Kopenhagen. Ich hatte mir einen aktuellen Reiseführer gekauft, um während der Fahrt ein wenig zu lesen. Doch dazu kam ich nicht, denn Reiner Kollin, Veranstalter und Begleiter der Reise vom Unternehmen „Reisen mit Kultur“, griff immer wieder zum Mikrofon und berichtete über verschiedenste Aspekte Dänemarks. Da ging es um Wirtschaft, Politik und Soziales, um Geschichte und Kultur. Schon nach kurzer Zeit legte ich meinen Reiseführer beiseite und hörte gespannt zu.
Dank unseres freundlichen und souverän agierenden Fahrers, Hartmut Ahlf, erreichten wir in bester Stimmung Kopenhagen. Noch bevor wir ins Hotel fuhren, machten wir eine kleine Stadtrundfahrt und sahen, mit wieviel Mut die Dänen ihre Hauptstadt den neuen Zeiten anpassen, indem sie Altes und Modernes miteinander verbinden. Schließlich besuchten wir auch noch die berühmteste aller Däninnen: die Kleine Meerjungfrau. Wie wir erst am Ende der Reise feststellten, hat die von Edvard Eriksen (1876-1959) geschaffene Skulptur noch drei Schwestern.
Gegen 15 Uhr checkten wir im Hotel „Comwell Copenhagen Portside“ ein, keine 100 Meter von der nächsten Metrostation entfernt, in ruhiger Lage im Norden der Stadt, modern und weiträumig im skandinavischen Stil eingerichtet. Ein Volltreffer, könnte man sagen!
Schon gegen 16:30 Uhr ging es zur „Operaen Copenhagen“, dem Neuen Opernhaus, einem futuristisch anmutenden Gebäude. Es ist ein Geschenk des dänischen Reeders Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller (1913-2012) an den dänischen Staat. Erstaunlich ist die kurze Bauzeit von vier Jahren. Da sind wir in Hamburg anderes gewohnt. 2005 wurde das Opernhaus eröffnet. Es soll zu den modernsten der Welt gehören. Wunderbar auch die Möglichkeit, im oberen Stockwerk des Hauses, im Gourmet-Restaurant „Almanak“ zu speisen. Ein leckeres Drei-Gänge-Dinner erwartete uns.
Anschließend dann der erste Höhepunkt der Reise: das Musical „Billy Elliot“, nach gleichnamigem Jugendbuch von Melvin Burgess und erfolgreich verfilmt als „Billy Elliot – I Will Dance“. Musik und Texte des Musicals stammen von Elton John und Lee Hall. Wir sahen eine Inszenierung mit dem Royal Danish Orchestra unter der Leitung von Lars Kvensler und mit der Choreografie von Miles Hoare. Beeindruckend dargestellt die Geschichte des jungen Billy zur Zeit des Bergarbeiterstreiks 1984 im Norden Englands. Allein schon das düstere Bühnenbild spiegelte die prekäre Lage wider, unter der die Minenarbeiter litten. Armut, Verzweiflung, Gewalt und Alkohol prägten ihren Alltag. Mittendrin Billy, der nicht wie andere Jungen zum Boxunterricht gehen wollte, sondern stattdessen heimlich Ballettunterricht nahm. Damit widersprach er dem Männlichkeitsbild seiner Umgebung und schockierte Vater und Bruder. Die Lektion dieses Stücks: Gib niemals auf, verwirkliche deine Träume!
Bemerkenswert am nächsten Tag, am Samstag, war der Besuch des „Statens Museum for Kunst“, dem Staatlichen Kunstmuseum. Eine junge Kunsthistorikerin machte uns vertraut mit der Sammlung alter und moderner Meister, darunter Werke des Dänen Per Kirkeby und internationaler Maler wie Matisse, Picasso, Baselitz oder Nolde. Erfreulich zu sehen war außerdem das große Interesse an der Sonderausstellung zu Käthe Kollwitz.
Anschließend fuhren wir zur Grundtvigskirche, die zu den bekanntesten Gotteshäusern Kopenhagens gehört. Sie wurde nach Nikolai Frederik Severin Grundtvig (1783-1872) benannt, einem Universalgelehrten, der zu seiner Zeit als Philosoph, Pfarrer, Pädagoge, Schriftsteller und Politiker großen Einfluss hatte. Unter anderem initiierte er die Gründung von nichtstaatlichen Volkshochschulen als Alternative zum staatlichen Erziehungssystem. Schon 1844 sprach er von der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens. Die vor allem durch ihre Innengestaltung atemberaubend schöne Kirche wurde nach Plänen des dänischen Architekten Peder Klint (1853-
1930) geschaffen, der den damals modernen Backsteinexpressionismus mit traditioneller Gotik auf außergewöhnliche Weise verknüpfte.
Als ein Kontrastprogramm konnte man die anschließende Fahrt durch den jüngsten Stadtteil Kopenhagens, Ørestad, empfinden, der – wie auf dem Reißbrett entworfen – Wohnen und Arbeiten in modernster Architektur und Infrastruktur bietet. Aufregend und faszinierend und sicher ein Grund dafür, dass Kopenhagen 2023 zur Welthauptstadt der Architektur gekürt wurde. Aber ich denke, wir waren alle recht froh, als wir wieder in der gemütlichen Altstadt landeten und einen kleinen Bummel machen konnten.
Am folgenden Sonntag ging es bei bestem Wetter in das 35 km nördlich von Kopenhagen gelegene „Louisiana Museum of Modern Art“. Der Weg dorthin führte die Küstenstraße „Strandvejen“ entlang, von manchen auch „dänische Riviera“ genannt. Wunderschöne Villen stehen dort und auch kleinere hübsche Häuschen, in denen ich gern mal einen Sommer verbringen würde. Das Louisiana Museum gilt als eines der schönsten der Welt. Allein der Park mit Skulpturen von Künstlern wie Henry Moore und Alexander Calder und der ständige Ausblick auf den Øresund machen den Besuch unvergesslich.
Am Spätnachmittag folgte dann der zweite Höhepunkt dieser Reise: das Ballett „Der Nussknacker“ im Königlich Dänischen Theater, der Alten Oper. Die klassische Choreografie von George Balanchine und das Bühnenbild von Anthony Ward waren vielleicht nicht nach jedermanns Geschmack, denn beides war für Kinder konzipiert worden. So jedenfalls stand es auf der Website des Theaters. Tatsächlich saß in der Reihe vor mir ein kleiner Junge, der sich die gesamte Zeit kaum rührte und fasziniert dem getanzten Märchen folgte. Der stürmische Schlussapplaus zeigte jedoch, dass auch das erwachsene Publikum begeistert war.
So viele Eindrücke, so viele Erlebnisse! Ich hatte das Gefühl, nicht erst drei Tage, sondern schon eine ganze Woche unterwegs zu sein. Viel zu schnell verging die Zeit, und mit dem vierten Tag folgte die Abreise. Zum Glück führte unsere Reiseroute über Roskilde, so dass wir noch eine Stätte des UNESCO Weltkulturerbes besichtigen konnten: den Dom zu Roskilde, traditioneller Begräbnisort der dänischen Könige und Königinnen. Hier sahen wir schließlich auch die drei Schwestern der Kleinen Meerjungfrau. Sie heißen Trauer, Erinnerung und Zuneigung, Marmorskulpturen, die ebenfalls von Edvard Eriksen geschaffen wurden. Sie zieren den Sarkophag von Christian IX. und seiner Frau Louise.
Ob ich noch einmal eine solche Gruppenreise mitmachen werde? Auf jeden Fall. Es war in jeder Beziehung eine wunderbare Reise, und deshalb geht mein Dank an alle, die mit deren Organisation zu tun hatten, vor allem an Reiner Kollin und Hartmut Ahlf.
Petra Häring-Kuan, 6. Dezember 2024