Zahlreiche Ballettfreunde waren der Einladung der Jungen Choreografen gefolgt, die Generalprobe mit beiden Programmen erleben zu können. Neben den eigenen Mitgliedern hatte der Vorstand auch die Studierenden der Lola Rogge Schule sowie Mitglieder der Ballettfreunde Ahrensburg eingeladen, daran teilzunehmen. Gemeinsam mit weiteren Gästen – ehemaligen und derzeitigen Mitgliedern des Hamburg Ballett – war der Zuschauerraum in Hamburgs neuestem Theater zumindest so gefüllt, dass sich der Applaus nach jedem Beitrag hören lassen konnte.
15 junge Choreografen gestalteten mit ihren Werken das Programm, annähernd die Hälfte davon waren zum ersten Mal dabei. Damit sich die Choreografien mit jeweils acht gleichmäßig auf die beiden Vorstellungsabende verteilen konnten, wurde eine Gestaltung wiederholt.
Francesco Cortese hatte in diesem Jahr als Koordinator die Organisation der Aufführungen übernommen. Diese Aufgabe bewältigte er zusätzlich zur eigenen Kreation und der Mitwirkung in mehreren Werken seiner Kolleginnen und Kollegen. Auch die Begrüßung des Publikums oblag ihm: Charmant dankte er John Neumeier, allen Beteiligten und den Ballettfreunden Hamburg, die diese Vorstellungsserie finanziell unterstützten. Diese Tatsache wurde auch im Programmheft genannt. Mit 15 Kreativen war es die größte Ausgabe der „Jungen Choreografen“ seit der Initiative durch John Neumeier vor genau 50 Jahren – das Format feierte folglich ein beachtliches Jubiläum! Nicht nur als „Musen, sondern auch als Schöpfer“, so Cortese, präsentieren sich die Tanzenden dem Publikum.
Die 15 sehr unterschiedlichen choreografischen Handschriften zeichneten sich durch überbordenden Erfindungsreichtum und Mut zur Umsetzung auch ausgefallener Ideen aus. Priscilla Tselikovas „Cannonade of Joy“ für drei Paare zu Johann Pachelbels „Kanon in D-Dur“, einem sanften Ohrwurm, eignete sich bestens als Opener. Für den folgenden „Daydream“ von Lizhong Wang musste die Bühne sich in einen vollkommen offenen Raum verwandeln, der zu Arbeitslicht eine entsprechende Atmosphäre verbreitete, in der sich sechs Tanzende oft in einer Konstellation Fünf plus Eins arrangierten. Francesco Cortese choreografierte ein „Schuldspiel“ zu Musik von Philip Glass: Ein inszenierter lautstarker Streit zu Beginn führt zu tänzerischen Auseinandersetzungen samt Lachen und Küssen, Prügeln und Schreien. Louis Haslach ist für Konzept und Regie, die Tanzenden für die Co-Choreografie von „Simile, Sporadic Fantasia and Fugue for 10 Hands“ verantwortlich – einer Kooperation der Mitwirkenden, bei dem Borja Bermudez für den projizierten Film, Francesco Cortese für die Kostüme verantwortlich zeichnet; hier werden Phrasen aus der Werbung und Verkaufsposen aufs Korn genommen. Eine „Viaje Desconocido“, eine „Unbekannte Reise“ tritt ein Paar in weißer Unterwäsche an, frech und verspielt gestaltet von Alice Mazzasette zu spanischem Gesang. In „Eden“ entwirft Ida Stempelmann wenig Paradiesisches für fünf Tänzerinnen, die sich in Chor und Protagonistin teilen, zur gleichnamigen Musik. Anders als im Programmheft angekündigt, ist Illia Zakrevskyis „Dreams“ kein Pas de deux, sondern eine Choreografie für ein Trio, in dem zwei Männer eine Frau heben, tragen, drehen, schieben, halten und ihre Beine isoliert herumführen; erst nach einer Temposteigerung werden sie zu drei Individuen. Das Finale des Programms Nummer eins heißt „Kill it!“ und zeigt, wie großartig Humor allein durch Bewegungen entstehen kann; Gabriel Barbosa choreografierte für 16 Tanzende, unter ihnen Madoka Sugai und Christopher Evans, die einen berührenden Pas de deux zeigen.
Nach einer längeren Pause folgt das zweite Programm. Zu schwungvollem Dreier-Takt schuf Pablo Polo „Yet Unnamed“ für zwei Paare Bewegungen, die vor allem durch fantasievolle Ornamente im Raum leben. Jazzig klingt Dave Brubecks Musik, und die tänzerischen Ideen von Pepijn Geldermann nehmen die swingende und flirtende Leichtigkeit der Klänge in „Blue Rondo“ auf. „Loca“ (verrückt) heißt der Musiktitel, und „Loquita“ (ebenfalls verrückt) nennt Aleix Martínez sein poetisches und sehr organisch gestaltetes Pas de deux. Eine weiß gekleidete, kahlköpfige Tänzerin sitzt in rotem Licht, auch ihre Arme und Beine sind knallrot geschminkt; auf das spektakuläre Bild folgt ein Kräftemessen der sieben Tanzenden, die sich mitunter angstvoll verkrampft, manchmal wie Tiere bewegen; „Instincts“ von Lasse Caballero endet mit dem Tod der Protagonistin an der Rampe. Eine Pianistin, deren Augen verbunden sind, begleitet live die Choreografie „Mediator“ von João Santana, die optisch vor allem durch die Schwarz-Weiß-Kontraste der Kostüme wirkt. Fließend und sehr harmonisch gestaltet Florian Pohl das Duett „Spirit Bird“, das seine Namen vom gleichnamige Musiktitel von Xavier Rudd bekommt.
Die bekannten „Lieder ohne Worte“ von Felix Mendelssohn Bartholdy setzen das finale Ausrufezeichen des Abends mit einem Pas de deux von Anita Ferreira, das sie „Com a Cabeca na Lua“ nennt: „Mit dem Kopf auf dem Mond“ – eine großartige Metapher für die unbegrenzten Tanz- Fantasien der Jungen Choreografen.
Die bei der Generalprobe anwesenden Ballettfreunde äußersten sich begeistert über den Mut und die Ideenvielfalt des choreografischen Nachwuchses. Immerhin bildete dieses Format die Startrampe für die choreografische Laufbahn von beispielsweise Yuka Oishi, Edvin Revazov und Aleix Martínez.
An beiden Vorstellungsabenden verteilten Timm Berkefeld und Jochen von Holdt die frisch gedruckten Visitenkarten der Ballettfreunde Hamburg an die eintreffenden Theaterbesucher.
[Dagmar Ellen Fischer]