Victor Hughes wird folgendes Zitat nachgesagt: „Niemand kennt John Neumeier länger als ich“ –
und dieses Zitat stimmt nicht ganz. War es doch z. B. Marianne Kruuse, die mit ihm schon in
Frankfurt gearbeitet hatte und ihm dann nach Hamburg folgte. Victor Hughes kam erst nach ihr
als Tänzer nach Frankfurt. So begann der Mittwochabend im Kaminzimmer des Hotels Baseler
Hof, zu welchem Dagmar Ellen Fischer den inzwischen 85-jährigen Victor Hughes eingeladen
hatte. Man merkt ihm seine Jahre kaum an. Er hat noch kleine Tanzposen vorgemacht, hatte
unheimlich viel zu erzählen und wirkte durch eine einzigartige Ausstrahlung, die er sicher auch
schon als Tänzer innehatte.
Dabei war es für ihn lange nicht klar, dass er überhaupt Tänzer werden wollte, oder was er
überhaupt machen wollte. Der in Südafrika geboren Victor Hughes begann erst im Alter von ca.
20 Jahren mit einer professionellen Ausbildung, parallel zu einem ersten Engagement bei der
„University of Cape Town Ballet Company“. Schon in seinem zweiten Jahr in der Compagnie war
er der Schwanenseeprinz, gefolgt von Albrecht in „Giselle“, auch einer großen Rolle, die er
eigentlich ohne entsprechende Ausbildung, ohne ausgereifte Technik tanzte.
1966 ging er nach London, weil er der Ansicht war, jetzt müsse er mal eine größere Auslandsreise
unternehmen, und landete beim „London Festival Ballett“, dem heutigen English National Ballet,
einer Compagnie ohne feste Theaterbühne. Geprobt wurde in angemieteten Räumlichkeiten in
London, dann ging man mit dem geprobten Stück in verschiedene Theater der englischen Provinz.
Diese Heimatlosigkeit begann ihn zunehmend zu nerven, wie er lächelnd erzählt. Und so ging er
für zwei Spielzeiten zum Ballett nach Zürich, wo er Persephone Samaropoulo traf, diese kannte
John Neumeier bereits und hatte schon einen Vertrag bei ihm in Frankfurt abgeschlossen. Victor
Hughes ging mit nach Frankfurt – ein Entschluss, den er wohl nicht bereut hat. Kleinere Rollen in
Neumeiers Balletten tanzte er bereits in Frankfurt, wie z. B. einen Part in dem Ballett „Dämmern“
oder den Graf Paris in „Romeo und Julia“, dann nahm John Neumeier ihn und andere Tänzer aus
Frankfurt mit nach Hamburg.
Und hier ist er nun, seit 1973, erst als Gruppentänzer, dann als „Assistent“. Bis 1999 hat er als
Ballettmeister gearbeitet und auch noch kleinere Rollen auf der Bühne übernommen, wie z. B.
den Monsieur Duval in der „Kameliendame“, welches zu seinen Lieblingsballetten zählt. Seit 1999
hat er an großen Bühnen in der ganzen Welt die Werke von John Neumeier mit anderen
Compagnien einstudiert.
Heute unterrichtet er an der Ballettschule des Hamburg Ballett – John Neumeier das Fach
Ballettgeschichte, das würde er auch gern weiterhin tun, unter der Intendanz von Demis Volpi.
Timm Berkefeld