Am 10. Januar hatten interessierte Vereinsmitglieder die Möglichkeit, den designierten
Ballettintendanten Demis Volpi im Rahmen eines Künstlerinterviews im Hotel Baseler Hof
kennenzulernen. Über 60 Ballettfreunde waren anwesend. Dagmar Ellen Fischer hatte
interessante Fragen zu seiner neuen Aufgabe in Hamburg sowie zu seinem Lebenslauf vorbereitet.
Herr Volpi, der ruhig und sympathisch wirkte, erzählte recht offen, wie es zu seiner Berufung nach
Hamburg kam. Er, der in Argentinien seine schulische Ausbildung an einer deutschen Schule
erhielt und die Ballettschule des Teatro Colón in Buenos Aires besuchte, wurde eines Tages von
der Findungskommission angeschrieben. Das Angebot, die Hamburger Compagnie zu
übernehmen, lehnte er zunächst ab, hatte er doch kurz zuvor erst die Führungsposition des
Balletts am Rhein (Düsseldorf/Duisburg) übernommen, mitten in der Pandemie, im zweiten
Lockdown. Er wollte seinem Ballettensemble, das er neuformieren musste und dessen Mitglieder
sich pandemiebedingt erst nach zehn Monaten endlich alle kennenlernen konnten, nicht zumuten,
es nach so kurzer Zeit wieder zu verlassen. Dennoch ließ die Findungskommission nicht locker,
nach wenigen Monaten nahmen sie erneut Kontakt zu Demis Volpi auf, ein Einzelgespräch mit
einem Mitglied der Kommission folgte, und bald wurden die Pläne für Hamburg konkret. Die
Bedingung war, auch aus oben erläuterten Gründen, seinen Vertrag in Düsseldorf-Duisburg, der
bis 2024 lief, erfüllen zu können. So erklärte sich John Neumeier bereit, seine Intendanz um ein
weiteres Jahr zu verlängern. Während John Neumeier seine nun letzte Spielzeit als „Epilog“
überschrieben hat (diesen Arbeitstitel trägt auch die noch nicht näher bezeichnete Premiere im
Juni 2024), sieht Demis Volpi seine erste Spielzeit als Prolog an.
Die Pressekonferenz zur Präsentation des Spielplans seiner ersten Spielzeit findet Mitte März statt.
Details möchte Volpi deshalb vorab noch nicht verraten. Dennoch darf man sich auf neue
choreografische Handschriften freuen, darunter auch eigene Werke von Demis Volpi. Er betonte,
dass er seine eigenen Werke im Kontext zu und im Austausch mit anderen Choreografen sieht.
Die Ballette von John Neumeier bleiben natürlich eine feste Säule des Repertoires.
Wir werden weiterhin Ballett-Werkstätten erleben dürfen, auch die Hamburger Ballett-Tage, die
in dieser Form einzigartig und eine große Herausforderung für die Compagnie sind, sowie die
Nijinsky-Gala werden uns erhalten bleiben.
Überhaupt scheint Demis Volpi eine große Bewunderung für das Schaffen Neumeiers zu haben.
So erzählte er, dass er, als er als Tänzer in Stuttgart engagiert war, wo auch immer wieder Werke
von John Neumeier auf dem Spielplan stehen (Anmerkung: „Die Kameliendame“ und „Endstation
Sehnsucht“ sind für das Stuttgarter Ballett choreografiert worden), an freien Tagen oft nach
Hamburg gereist ist, um sich hier seine Ballette anzusehen.
Die Schwierigkeit seiner neuen Aufgabe in Hamburg, so sagte er, bestehe hauptsächlich darin,
dass es für die Übernahme einer Compagnie, die seit nun 51 Jahren von einem einzigen
Intendanten geleitet wird, kein Vorbild und keine Erfahrungswerte gibt – es wird sich alles langsam
entwickeln müssen. So wird es auch ein längerer Prozess sein, herauszufinden, wie die Hamburger
mit Neuerungen umgehen werden oder wie die Gewichtung neuer Ballette zum Werk Neumeiers
im Spielplan sein wird.
Demis Volpi hat schon mit immer noch erfolgreichen Kreationen auf sich aufmerksam gemacht,
so z. B. „Der Karneval der Tiere“, der für die Stuttgarter Ballettschule entstanden ist (und auch in
Hamburg schon zu sehen war) oder sein Ballett „Krabat“ nach der Vorlage des Jugendromans von
Otfried Preußler. Die Entstehungsgeschichte zu diesem Werk, die er kurz umrissen hat, war
interessant anzuhören. So berichtete er beispielsweise über eine Aufführung von „Krabat“, die
ausschließlich für junges Publikum angeboten wurde. Er selbst ging vor Beginn der Vorstellung
auf die Bühne und gab eine Einführung in das Stück. Bemerkenswert war, dass sich der enorme
Geräuschpegel im Verlauf des Abends erheblich reduzierte. Erwähnenswert sind ebenso Volpis
Überlegungen, wie behinderten Menschen eine Teilhabe am Tanz ermöglicht werden kann.
Seine ersten choreografischen Arbeiten entstanden in seiner Tänzerzeit in Stuttgart im Rahmen
der „Jungen Choreografen“, so beispielsweise „on and on and on“, ein Pas de deux, der von seinen
damaligen Tänzerkollegen Angelina Zuccarini und Alexander Jones getanzt wurde.
Ich denke, die Mehrheit der Ballettfreunde, die sich das Interview mit Herrn Volpi angehört haben,
werden sich auf die Hamburger Ballettzukunft freuen; es wird sehr interessant und
abwechslungsreich werden.
Timm Berkefeld